Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister Müller,
wir wenden uns heute an Sie mit einem dringenden Appell, die noch bis August geplante Schließung der Kitas in Berlin zu überdenken und alternative Lösungen zu finden.
Das schnelle und entschlossene Handeln der Bundes- und Landesregierungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie hat erfreulicherweise dazu geführt, dass das deutsche Gesundheitssystem nicht, wie befürchtet, überlastet wurde. Bevölkerung und Wirtschaft tragen die Maßnahmen mit und halten sich solidarisch an die zum Teil erheblichen Einschränkungen, die die Ausbreitung des Coronavirus verzögern sollen.
Wir müssen nun aber fragen: Was ist mit der gesellschaftlichen Solidarität gegenüber Kindern und ihren Eltern? Die nun angekündigten Lockerungen der Maßnahmen, etwa die schrittweise Öffnung der Schulen oder des Einzelhandels, schüren die Hoffnung, langsam zur Normalität zurück zu finden. Doch ist die Perspektive, dass Kindergärten noch bis mindestens Ende Juli geschlossen bleiben sollen, aus Eltern-, aber auch aus unternehmerischer Perspektive so nicht hinnehmbar und scheint zudem auf keinerlei wissenschaftlichen oder medizinischen Erkenntnissen zu fußen. Ganz im Gegenteil befürchten Expert*innen durch den langfristigen Wegfall von sozialen Kontakten zu anderen Kindern negative Folgen für die Entwicklung der Kleinsten und eine Beeinträchtigung der psychischen wie physischen Gesundheit von Familien.
Wir möchten Sie hiermit dringend auffordern, das Kindeswohl und die Probleme, die sich erwerbstätigen Eltern tagtäglich stellen, stärker in den Blick zu nehmen und Abhilfe zu schaffen.
Die Arbeit im Homeoffice ist bei zeitgleicher Betreuung eines oder mehrerer Kinder nur eingeschränkt möglich und für weitere dreieinhalb Monate schlicht nicht leistbar. Jede*r, die oder der Kleinkinder Zuhause und ohne fremde Unterstützung betreuen muss, weiß, welche Herausforderungen eine solche Situation bedeutet.
Unser Eindruck ist, dass insbesondere von Frauen, die leider ja immer noch häufig die Hauptlast der Sorgearbeit tragen, erwartet wird, dass sie Berufstätigkeit mit Homeoffice vereinbaren, was kaum möglich ist – oder sie eben für mehrere Monate hinten anstellen. Für Mitarbeiter*innen würde dies wiederum einen Verdienstausfall bedeuten, der keinesfalls als selbstverständlich angesehen werden darf!
Für unsere Firma sind wichtige Kolleg*innen dann über einen langen Zeitraum nicht voll verfügbar. Die Ankündigung, ab dem 27. April in Berlin die Notbetreuung auf weitere Berufsgruppen auszuweiten, wird die Eltern, die wir beschäftigen, nicht entlasten, da sie weder systemrelevant noch alleinerziehend sind. Wir finden aber: Die Probleme, die mit der Doppelbelastung Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung einhergehen, können nicht allein von Arbeitgeber- und -nehmerseite aus abgefedert werden und müssen für alle greifen!
Es ist verständlich und sinnvoll, dass bei allen gesundheitspolitischen Entscheidungen immer dem Infektionsschutz Priorität eingeräumt wird.
Aber es muss auch zwischen einer weiteren realistischen Eindämmung der Pandemie und ihren möglichen sozialen und wirtschaftlichen Folgen für alle abgewogen werden.
Andere europäische Länder wie Dänemark oder Island öffnen daher Schulen und Kitas kontrolliert oder haben diese zu keinem Zeitpunkt vollständig geschlossen. Auch in Deutschland müssen Mittel und Wege gefunden werden, die Betreuungssituation unserer Kinder flächendeckend zu verbessern und ihre Eltern zeitlich wie finanziell zu entlasten.
Angesichts der andauernden Schließung der Kitas bedarf es staatlicher Maßnahmen, um erwerbstätigen Eltern und somit indirekt auch ihre Arbeitgeber*innen zu unterstützen. Maßnahmen wie eine Corona-Elternzeit oder ein Corona-Elterngeld wurden etwa durch das DIW Berlin bereits in die Diskussion eingebracht. Schrittweise Öffnungen für alle Berufsgruppen oder Betreuung in Phasen und im Außenbereich werden diskutiert. Hier gilt: Auch stundenweise Entlastung ist eine große Hilfe.
Wir sehen die große Gefahr, dass berufstätige Eltern irgendwann gezwungen sein könnten, sich eigenständig um Betreuungsmöglichkeiten zu kümmern, um sich der Doppelbelastung zu erwehren, was gesundheitspolitischen Bemühungen zur Eindämmung des Virus zuwiderlaufen dürfte.
Wir möchten Sie daher inständig auffordern, auch für Deutschland und Berlin realitätsnahe und unbürokratische Konzepte zu entwickeln, die alle erwerbstätigen Eltern entlasten, die um Hilfe in dieser Krise bitten. Wir leisten schon lange und gerne unseren Teil, um unseren Kolleg*innen ein familienfreundliches Arbeitsumfeld zu bieten. Geben Sie erwerbstätigen Eltern und ihren Arbeitgebern eine Perspektive in diesen Krisenzeiten!
Mit besten Grüßen
Gunnar Behrens, Jörg Schmidtsiefen und Stephan Spenling